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Marko Marffy in einer Karate Do Stellung
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Gestärkt durch Verzicht

Marko Marffy ist Lehrer für Karate Do, Kickboxen und andere Kampfsportarten, dreifacher Europameister und neunfacher Weltmeister der WUKF (World Union of Karate-do Federations). Wir haben ihn in seinem Dojo in Bern getroffen, um mit ihm über die Bedeutung von mentaler Stärke für den Sport und das persönliche Wohlempfinden zu sprechen.

Marko, was bedeutet mentale Stärke für dich? 

Mentale Stärke bedeutet für mich, in Ausgeglichenheit zu sein. Wer mental stark ist, kann hohe Leistungen erbringen, danach aber auch schnell wieder zur Ruhe kommen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, sich selbst gut wahrzunehmen. Je besser ich mich verstehe, desto besser kann ich auch mit meinem Umfeld umgehen. Und körperliche Anstrengung ist der Schlüssel zur besseren Selbstwahrnehmung.

 

Wie beeinflusst die mentale Stärke die Leistung im Training und bei Wettkämpfen?

Massiv! Im Leistungssport hat man den physischen Part bis ins letzte Detail untersucht. Wir wissen genau, wie man den Körper zu besserer Leistung bringen kann – wie man die Ausdauer stärkt und die Muskulatur ideal aufbaut. Wenn es aber um die mentale Komponente geht, ist das ungenutzte Potenzial noch riesig. Dieser Baustein wird vernachlässigt und stark unterschätzt. Dahingehend beraten mein Geschäftspartner Christian Finger und ich Spitzensportlerinnen und Leistungssportler. Wir schliessen gerne mit den Trainierenden eine Wette ab: «Wetten, dass du bessere Leistungen bringen wirst, wenn du ein Drittel weniger trainierst!» Und wir gewinnen eigentlich immer. Wir haben verlernt, auf unseren Körper zu hören – wann wir leisten wollen, wann wir Schlaf brauchen, wann uns Zeit allein in der Natur gut tut, ohne Handy, ohne Ablenkung.

 

Du sprichst auf deiner Webseite davon, dass du einen sogenannten «Finalkomplex» hast. Was ist das?


Immer wenn ich als Athlet an einem Final im Wettkampf angekommen war, hatte ich das Gefühl, ich würde dort nicht hingehören, und wollte wieder gehen. Deshalb siegte ich nicht, obwohl ich sehr viel trainiert hatte und topfit war. Dann kam das Jahr 2012, das Jahr, in dem ich heiratete. Ich investierte viel Zeit in die Vorbereitung der Hochzeit, war viel mit Kollegen im Ausgang, hatte innerlich Stress. Deshalb reiste ich ohne Ambitionen zur EM, lieferte eine bessere Performance als je zuvor und wurde Europameister. Warum? Weil ich ohne Ambitionen zum Wettkampf gefahren war und nicht gewinnen wollte. 
Viele kennen das ja auch aus dem Alltag: Man zermartert sich das Hirn nach einer guten Idee, aber es fällt einem nichts ein. Und dann, beim Spazieren oder unter der Dusche, kommt plötzlich, scheinbar aus dem Nichts, eine super Lösung. Unser Geist war in diesem Moment entspannt und konnte kreativ sein, weil der Druck weg war. 

 

Woher kommt dieser Druck?


Unsere Leistungsgesellschaft treibt uns permanent an, besser zu werden. Wir haben Angst, zu wenig zu leisten und dass wir uns nicht weiterentwickeln, wenn wir gerade nichts tun. Das stimmt nicht! Beim Sporttraining gehen wir vom Superkompensationsprinzip aus: Wir brauchen Erholung, damit der Körper sich auf ein höheres Leistungsniveau heben kann. Trainiert man zu früh wieder, kann es im schlimmsten Fall zu einem Sportler-Burnout kommen. Wer aber Zeit für Schlaf, gute Ernährung, Massagen und Sauna einrechnet, erholt sich rascher und verbessert seine Performance schneller. 

Das gilt übrigens nicht nur im Spitzensport: Wir alle brauchen Zeiten der Erholung – und damit meine ich nicht die Zeit am Handy, sondern Ruhe, Alleinsein oder Spazierengehen. 

 

Ohne Härte geht es also auch nicht?


Im Training ist man immer wieder mit Schmerzen und Frust konfrontiert: Wenn zum Beispiel die Muskeln in einer anstrengenden Position wehtun und man über diesen Schmerz hinausgeht, ist der Körper imstande, mehr zu leisten, als man vorher dachte. 

 

Welche Strategien oder Techniken verwendest du, um deine mentale Stärke zu trainieren?


Mein wichtigstes Tool ist der Verzicht. Mal verzichte ich 50 Tage auf Alkohol, mal längere Zeit auf warmes Wasser, aufs Handy, auf Strom und Feuer, ein paar Tage auf Nahrung oder sogar auf einen Karriereschritt. Bestimmte Dinge entgehen mir dadurch, dafür habe ich mehr Energie für anderes. So erkenne ich, was ich wirklich brauche und womit ich mich nur «zumülle» oder mich abhängig mache. 

 

Diese Kombination aus Herausforderung und Ruhe rätst du auch Menschen, die keinen Leistungssport machen, sondern einfach fit und gesund sein wollen? 


Unbedingt! In der Zeit der Jäger und Sammler haben sich die Menschen wegen Kälte, Hitze, Hunger oder wilden Tieren bewegt. Und Bewegung löst Glücksgefühle aus. Heute fehlen uns dank Heizungen, Klimaanlagen, Selecta-Automaten und Zoo-Gehege viele dieser Bewegungsanreize. Entweder setzen wir uns wieder diesen «Ur-Reizen» aus, schaffen uns neue Reize oder zwingen uns zur Bewegung: ein paar Tage in der Wildnis verbringen, jeden Morgen kalt duschen oder die Rolltreppe bewusst meiden.

 

Was empfiehlst du zur Stärkung des Immunsystems im Hinblick auf die kalte Jahreszeit?


Meiner Ansicht nach ist das Wichtigste, mehr Schlaf einzuplanen und sich über die Wintermonate mehr Ruhe zu gönnen. Wie ein Bär, der sich in seine Höhle zurückzieht. Vitamin D ist die einzige Nahrungsergänzung, die ich zu dieser Jahreszeit empfehle, alles andere können wir über eine ausgewogene Ernährung zu uns nehmen. 

Ruhe ist übrigens während einer Grippewelle besonders wichtig: Anstrengende Übungen wie Intervalltrainings schwächen den Körper. Sie sollten besser zu einer anderen Jahreszeit als im Herbst und Winter absolviert werden. Und wenn man sich mal erkältet, sollte man dem Körper vertrauen und ihn einfach machen lassen, damit zum Beispiel durch Fieber das Immunsystem gestärkt wird. Dann fehlt man halt mal ein paar Tage im Büro, das muss drinliegen.

 

Was ist «Mental Health»?


Der Begriff «Mental Health» bezeichnet einen Zustand des psychischen Wohlbefindens und der psychischen Gesundheit. Er umfasst die Auswirkungen von Gefühlen, Gedanken 
und Beziehungsaspekten auf die Lebensqualität von Menschen. 

Er wird oft verwendet, um das Bewusstsein für die psychische Gesundheit zu schärfen, Stigmatisierungen abzubauen und den Zugang zu Unterstützung und Behandlung von psychischen Krankheiten zu verbessern. 

Zur «Mental Health» gehören Aspekte wie Stressbewältigung, emotionale Stabilität, Achtsamkeit, Selbstfürsorge und Widerstandsfähigkeit gegen Stress.
 

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