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Klassik, Jazz, Brain
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Klassik, Jazz, Brain

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4 Min.

Musik in der Hirnforschung

Singen und Musizieren machen glücklich – das ist so, weil dann Endorphine ausgeschüttet werden. Das sind körpereigene Glückshormone, die auch beim Essen und Sport, bei Sex und durch Drogen produziert werden. Zu sehen, was beim Musikhören passiert, sozusagen der Blick ins Hirn, wurde erst möglich durch bildgebende Verfahren wie die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT).

Hört ein Mensch Musik, werden zuerst die Strukturen im Hirnstamm verarbeitet. Auf dieser Ebene ist die Musik noch nicht ins Bewusstsein gedrungen. Das geschieht erst, wenn die Reize das Hörzentrum, den sogenannten Hörkortex, erreichen. Erst dort werden Instrumente oder Stimmen unterschieden. Durch bildgebende Verfahren kann gezeigt werden, was im Gehirn beim Musikhören passiert. Die Bilder lassen erahnen, wie viele Hirnareale beim Musizieren beteiligt sind. Und es gibt Auffälligkeiten im Hirn von Klassik- oder Jazzpianisten.

Unser Gehirn verrät, welche Musik wir hören.

Welche Musik wir hören, verrät das Muster unserer Hirnaktivität. Ob und wie sich das Muster der Aktivität auch zwischen verschiedenen Musikgenres unterscheidet, hat im August 2013 ein Forscherteam um den Studienleiter Vinoo Alluri von der Universität von Iyväskylä in Finnland untersucht. Für ihre Studie spielten sie Probanden mehrere unterschiedliche Musikstücke vor, darunter Ausschnitte aus einem Vivaldi-Konzert, ein Jazzstück von Miles Davis, Blues, einen argentinischen Tango und ein Stück von den Beatles. Während die Teilnehmer der Musik lauschten, zeichneten die Forscher ihre Hirnaktivität mittels der fMRT auf. Wie erwartet, gab es einige Areale, die von allen Musikarten aktiviert wurden: Bereiche in der Hörrinde, im Emotionen verarbeitenden limbischen System und im motorischen Cortex. Aber es gab auch Unterschiede: Besonders komplexe Musikstücke lösten eine höhere Aktivität im rechten Schläfenlappen aus. Und noch etwas wurde deutlich: Bei Liedern mit Text, beispielsweise Popsongs, verschob sich die Aktivität von der linken überwiegend in die rechte Hirnhälfte.

«Das unbekümmerte, absichtslose Singen hat den grössten Nutzeffekt für die Entwicklung von Kindergehirnen.»

Prof. Dr. Gerald Hüther, Leiter der Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Universität Göttingen und Mannheim/Heidelberg

In Musikerhirnen ist mehr graue Substanz vorhanden.

Mithilfe der Schnittbilder des menschlichen Gehirns zeigt sich, dass in Musikerhirnen die Verbindung zwischen rechter und linker Gehirnhälfte, das sogenannte Corpus callosum, deutlich kräftiger ausgebildet ist. Und es ist mehr graue Substanz in Regionen vorhanden, die für die Motorik, die auditive und die räumlich-visuelle Wahrnehmung zuständig sind.

Wie ticken die Gehirne von Klassik- und Jazzpianisten?

Schon länger ist bekannt, dass Musiker andere Gehirnstrukturen haben als Nicht-Musiker. Neu hingegen ist, dass bei Jazzpianisten andere Hirnprozesse ablaufen als bei klassischen Pianisten, selbst wenn sie das gleiche Musikstück spielen. «Miles Davis ist nicht Mozart», betonen die Leipziger Forscher des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in ihrer Studie vom Januar 2018. Der Grund: Die beiden Musikstile fordern den Musikern unterschiedliche Fähigkeiten ab.

Die Aufgabe von Klassikpianisten ist es, ein Stück einfühlsam zu interpretieren. Demnach konzentrieren sich klassische Pianisten bei ihrem Spiel besonders darauf, wie sie ein Stück spielen. Für sie gehe es darum, ein Stück technisch einwandfrei und persönlich ausdrucksstark wiederzugeben. «Dadurch scheinen sich unterschiedliche Abläufe im Gehirn etabliert zu haben, die während des Klavierspielens ablaufen und den Wechsel in einen anderen Musikstil erschweren», so Daniela Sammler, Neurowissenschaftlerin und Leiterin der Studie.

Bei Jazzpianisten geht es vor allem darum, eine Melodie einfallsreich zu variieren. Sie fokussieren sich vor allem auf das «Was» und sind darauf vorbereitet, zu improvisieren und ihr Spiel flexibel an überraschende Harmonien anzupassen. «Tatsächlich konnten wir die bei Jazzpianisten trainierte Flexibilität beim Planen von Harmonien während des Klavierspiels auch im Gehirn sehen», erklärt Roberta Bianco, Erstautorin der Studie. «Als wir sie während einer logischen Abfolge von Akkorden plötzlich einen harmonisch unerwarteten Akkord spielen liessen, begann ihr Gehirn viel früher, die Handlung umzuplanen als das Gehirn klassischer Pianisten.»

Entsprechend schneller können Jazzpianisten in der Regel auf eine unerwartete musikalische Situation reagieren und ihr Klavierspiel fortsetzen. Wenn es aber darum geht, ungewöhnliche Fingersätze zu nutzen, hatten in der Leipziger Studie die klassischen Pianisten die Nase vorn.

Nicht jeder kann Musik geniessen.

Während Musikliebhaber in den höchsten Tönen von ihren schönsten Konzerten schwärmen, lässt das andere völlig kalt. Neurowissenschaftler um Josep Marco-Pallarés von der Universität Barcelona haben im März 2014 herausgefunden, dass einige Menschen völlig immun gegen jede Wirkung von Musik sind. Die Forscher sprechen von Anhedonie – der Unfähigkeit, Freude zu empfinden. In Tests erkannten die Teilnehmer zwar, ob Musik fröhlich oder traurig war, aber sie liessen sich von den Gefühlen nicht anstecken. Die Forscher gehen davon aus, dass ihr Belohnungssystem im Gehirn anders arbeitet. Denn die Probanden waren durchaus zur Freude fähig, beispielsweise, wenn sie in einem Spiel Geld gewinnen konnten. Nur Musik wirkte bei ihnen nicht.

 

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